Mein Name ist Arno Kiehl. Ich möchte eine Episode aus meinem Büchlein „Von „Kürbitzsuppe“, Fliegeralarm, Tütenboom bis „Möwe, du fliegst in die Heimat“ – Kindheitserinnerungen im und nach dem 2. Weltkrieg“ erzählen.

Das Jahresende 1945 kündigte sich an, Weihnachten nahte. Wenn ich mich recht erinnere, war dieser Dezember kalt und frostig. In unserer notdürftig reparierten Wohnung in der Lehderstr. 33 pfiff der Wind durch alle Ritzen. Dachte ich da innig an Weihnachten? Wohl eher an eine warme Stube. Geschenke, Tannenbaum, Gänsebraten … Utopien! Aber trotzdem, irgendwie war eine gewisse Vorweihnachtsstimmung vorhanden. Es war kein Krieg mehr. Meine Mutter trieb, wie ist mir noch heute unklar, ein paar Tannenzweige auf, ein bisschen Lametta und zwei Glöckchen. Sie befestigte alles akkurat auf den Tannenzweigen und zu guter Letzt kamen auch noch zwei Kerzen zum Vorschein. Da Mutter bei einer sowjetischen Dienststelle, die für die Verwaltung der Kohlengruben in der damaligen SBZ arbeitete, hatten wir immer genügend Briketts im Hause und eine relativ warme „Bude“. Wir hüteten die Briketts wie den viel zitierten Augapfel! Meine Schulkameraden erzählten oft, wie sie wohl Weihnachten verbringen würden. In der Schule übten wir ein paar Weihnachtslieder ein. Lange dauerte das Üben nicht, denn die Kälte tat ihr Übriges.

Dann war es so weit. Ein Nachbar hatte sein Akkordeon aus dem Versteck geholt, seine Familie kam zu uns in die Wohnung, das Weihnachtsfest begann. „Stille Nacht, heilige Nacht“ und „Es ist ein Ros entsprungen“ sangen wir alle andächtig. Mutter legte Holz und Kohlen in den Küchenherd, entzündete das Feuer, kramte etwas Fett und Zucker hervor, gab diese Köstlichkeiten in eine Bratpfanne und fertigte Karamellbonbons an. Welch eine Delikatesse. Diese Weihnacht war unvergesslich. Voller Dankbarkeit für dieses Fest ging ich spät zur Ruh und erwartete den ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag. Ich traute am nächsten Morgen meinen Augen nicht, als ich in die halb zerstörte Küche kam und in einem Topf ein Stück Fleisch erblickte, dazu einen kleinen Korb mit Kartoffeln. Es gab doch einen „Braten“. Heute würde man das vielleicht als Speiserest betiteln. Mutter war eine gute Köchin. Sie zauberte mit ganz bescheidenen Zutaten für uns gar exotische Speisen. Für mich war Weihnachten 1945 ein Erlebnis.

Wenn ich diese Geschichte meinen Kindern und Enkeln erzähle, schauen sie mich verwundert, ja manchmal gelangweilt an. Ja, ja Opa, das war damals. Heute ist alles ganz anders. Ja, heute ist vieles anders. Auf der einen Seite verschwenderischer Reichtum und als krasser Gegensatz eine steigende Armut. Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen? Wie oft werden Frieden und Wohlgefallen ersehnt und diese Sehnsucht nicht erfüllt?!