Ich hab schon immer in der Schönstraße gewohnt. 85 Jahre an der gleichen Stelle. Hier habe ich mit meinen Eltern gelebt und bin nach der Hochzeit zehn Häuser weiter gezogen.

Zu meinen ersten Erinnerungen an Weißensee zählt, dass meine Eltern einen Garten in ‚Märchenland‘ gepachtet haben. Da war ich vielleicht vier oder fünf Jahre alt. Mein Vati hat mir da eine große Schaukel gebaut. Als Kind durfte ich da auch immer ein kleines Beet anlegen, wo ich dann etwas ausgesät habe. Hauptsächlich Radieschen, die gingen immer schnell auf.

Ich bin mit meinem Vati oft im Winter Schlitten gefahren am See. Die Teufelsbahn runter. So haben wir die Strecke von der Berliner Allee zum See genannt. Jetzt ist ja unten am See ein Geländer. Früher konnte man bis auf den See fahren. Als ich größer war, bin ich auch am Goldfischteich Schlittschuh gelaufen. Nachmittags kam manchmal meine Mutti und hat für mich und für die Freundinnen Kuchenbrötchen vom Bäcker gebracht.

„Paul Wolf hatte einen großen Kopf, wie Kaiser Wilhelm.“

Im Sommer sind wir Kinder zur Badeanstalt am Weißen See gegangen. Dort hab ich auch Schwimmen bei Paule Wolf gelernt. Der war hier in Weißensee eine Institution. Er war der Bademeister und Schwimmlehrer, und seine Frau saß vorne, immer sehr zurechtgemacht, und hat Eintrittsgeld kassiert.

Paul Wolf hatte einen großen Kopf, wie Kaiser Wilhelm. Bauch hatte er, sehr groß war er nicht. Ich habe damals das Schwimmen mit Korken gelernt. Er hat oben gestanden auf den Steinen und ich hing dann erst mal wie an einer Angel. Er hatte so einen langen Stab, da war eine Schnur dran und die hatte er dann hinten an den Korken festgemacht.

Wir Mädchen sind im Sommer immer zur Badeanstalt mit Kartoffelsalat und vielleicht noch einer Bulette. Die Badeanstalt hatte ein Sonnendeck, dort haben wir unsere Decke ausgebreitet und es uns schön gemacht. Wenn wir reinkamen und die Eintrittskarten bei Paules Frau kauften, haben wir zuerst auf der Tafel geguckt, wieviel Grad das Wasser hat. 24 Grad, manchmal 26, manchmal 28, dann konnten wir ganz lange drinbleiben.

Einmal waren wir so viele Mädchen und da hab ich meine schönen schwarzen Lackschuhe in der Garderobe stehen gelassen. Am Abend waren sie weg. Ich hab mich gar nicht nach Hause getraut. Meine Freundin ist dann mit hochgekommen, damit Mutti nicht so schimpft. Auf Bezugsschein bekam man nur ein Paar Schuhe; die wurden gleich mal drei Nummern größer gekauft. Vorne haben wir immer Watte reingesteckt, aber damit konnte man eigentlich kaum laufen, mehr stehen. Und die durften auch nur sonntags angezogen werden. Da hat man sonntags unten im Hof immer nur so rumgestanden. Es gab auch so Schlapperlatschen mit Holzsohle und Lederriemen. Die waren unten ein bisschen eingesägt, damit man ein bisschen abrollen konnte.

„Schularbeiten gemacht und dann runter auf den Hof.“

Ich hatte eine wunderschöne Kindheit, weil ich in einem Wohnblock mit ganz vielen Kindern wohnte. Wir haben eigentlich fast immer auf dem Hof gespielt. Das war für mich immer das Schönste: Schularbeiten gemacht und dann runter auf den Hof.

Wir hatten eine Buddelkiste und Teppichklopfstangen aus Holz. An denen haben wir allerhand Übungen gemacht. Hinter unserem Spielplatz war ein großes Gartengelände mit einem hohen Zaun. Nach 1945 gab ja wenig zu essen und dann haben wir da immer die schönen Äpfel und Birnen gesehen, die auf den Boden gefallen sind. Weil ich so klein war, haben die Jungs auf dem Hof mich überredet, unter dem Zaun durchzuklettern und die Birnen und Äpfel vom Boden aufzulesen. In dieser Zeit haben die Eltern auch Kinderfeste für uns veranstaltet. Wir haben Theaterstücke und Tänze aufgeführt, zum Beispiel einen Holzschuhtanz. Die Mütter haben uns aus buntem Krepppapier Röcke genäht und wir haben uns Bänder ins Haar gebunden. Dann kamen viele Leute aus dem Haus runter mit Stuhl. Das waren die Zuschauer.

„Meine erste Lehrerin hieß Fräulein Böttger.“

Ich bin ab 1941 in der Bernkasteler Straße in die Schule gegangen. Die Kinder eines Alters aus dem Hof sind zusammen zur Schule gegangen, denn wir mussten ja die Berliner Allee überqueren. Da gab es weder eine Ampel noch ein Polizist, der da den Verkehr geregelt hat. Wir mussten sehen, dass wir da irgendwie rüberkamen zur Bernkasteler Straße.

Wir haben noch Sütterlin-Schrift gelernt. Schönschreiben fand ich wunderbar. Von Anfang an hatten wir richtige Schulhefte, keine Schiefertafeln. Meine erste Lehrerin hieß Fräulein Böttger. Sie war nicht verheiratet, etwas älter, klein. Sie hatte einen Dutt und meistens einen langen, dunklen Rock und eine Bluse. Sie war eine ganz nette, liebe, mütterliche Lehrerin. Aber manche Lehrer sind da noch mit dem Stock rumgegangen. Da mussten wir die Finger auf den Tisch legen.

Nach 1945 haben wir dann in der Schule warmes Essen bekommen. Ich kann mich vor allem an so eine Art amerikanische Kekssuppe erinnern. Die hat super geschmeckt. Jeder musste einen Behälter mitbringen und da bekam man eine Kelle voll Essen hinein. Und seit ich klein war, wurde in den Pausen Milch in die Klassen gebracht: Es gab Flaschen mit Strohhalm, man konnte Kakao, Fruchtmilch oder eben normale Milch wählen.

Die Schule in der Bernkasteler Straße hatte eine schöne große Turnhalle. Dort gab es einen Rundlauf. Das war oben wie ein Rad und da hingen Seile runter. Da konnten wir uns an Seile hängen, rumlaufen und uns abstoßen. Das war dann wie ein Karussell. Das war etwas Besonders an dieser Schule.

Wir waren nur Mädchen in der Klasse, als wir eingeschult wurden. Später gab es dann gemischte Klassen. Bis zur achten Klasse bin ich in der Bernkasteler Straße in die Schule gegangen. Unser Jahrgang war der erste, in dem die neunte Klasse eingeführt wurde. Für das neunte Schuljahr sind wir – dann schon mit Jungs zusammen – noch ein Jahr aufs Gymnasium am Schwanenteich gegangen.

Wir sind früher meistens in die „Mazurka“ tanzen gegangen, die war hier oben am See und ist inzwischen abgerissen worden, beziehungsweise ins „Harmonie“. Das war eine Bar neben dem Kaufhaus in der Berliner Allee. Im „Harmonie“ habe ich auch meinen Mann kennengelernt. Meine Arbeitskollegin hatte gesagt, sie habe jemanden kennengelernt und der würde jemanden mitbringen. Und den sie mitgebracht hat, der wurde dann mein Mann.