Der Klemke-Strich – sinnlich, verstohlen, als leiser Ton – so wird er in den Schriften von denen, die ihn schätzen, skizziert. Wer kennt sie nicht, den „Kater“, das „Wolkenschaf“, den „Hirsch Heinrich“ oder den „Stier Ferdinand“ und ist mit ihnen groß geworden? Russisch hat man damals gelernt mithilfe der Klemke- Illustrationen. Viele Werke der Weltliteratur sind meisterhaft von ihm illustriert, so zum Beispiel Homers „Illias“, Voltaires „Candide“ oder Boccaccios „Decamerone“. Zeitschriften, Schallplattenhüllen, Signets und Exlibris, Bühnenbilder – ein großes Lebenswerk.

Werner Klemke, geboren ist er am 12. März 1917 als Sohn eines Tischlers in Berlin-Weißensee in der Bizetstraße, damals Sedanstraße genannt. „Aufgewachsen bin ich wie alle Kinder in dieser Gegend, auf der Straße und auf dem Hof. Der hatte Gras, drei Pflaumen- und drei Holunderbäume.“1 , beschreibt Klemke seine Kindheit. Er selbst versteht sich als ein echter Weißenseer. Ein Stadtteil, den er, außer in den Kriegsjahren, niemals verlassen hat. „Hier kennt jeder jeden, und deshalb ziehen echte Weißenseer auch nicht weg, selbst wenn andere das nicht begreifen.“2

Berlin-Weißensee-Spaziergang-Werner Klemke Amsterdam 1941-Quelle Weißenseer Heimatfreunde e.V.

Werner Klemke Amsterdam 1941
Quelle: Weißenseer Heimatfreunde e.V.

Berlin-Weißensee-Spaziergang-Werner Klemke-Titelblatt Dokumentarfilm Treffpunkt Erasmus-Annet Betsalel-Quelle Weißenseer Heimatfreunde e.V.

Titelblatt des Dokumentarfilms Treffpunkt Erasmus von Annet Betsalel
Quelle: Weißenseer Heimatfreunde e.V.

Die Geschichte, die Werner Klemke für unser Thema des Widerstands so besonders macht, führt uns nach Amsterdam. Nicht weit davon, in dem kleinen Ort Bussum, war Klemke ab 1941, in der Zeit der Besetzung Hollands, als Soldat der Flugabwehr stationiert. Klemke selbst hat diese seine Widerstandsgeschichte niemals öffentlich erzählt und auch seiner Familie nur Andeutungen vorbehalten. Erst die Funde in der Synagoge Bussum (NL) sowie die anschließenden Recherchen der niederländischen Regisseurin Annet Betsalels im Zusammenspiel mit Klemkes Kindern Ulrike und Christian eröffnen das Geschehen der damaligen Zeit und münden in den Film „Treffpunkt Erasmus“ (2015).

Berlin-Weißensee-Spaziergang-Werner Klemke-Portraitskizze-Quelle Weißenseer Heimatfreunde e.V.

Portraitskizze des Werner Klemke
Quelle: Weißenseer Heimatfreunde e.V.

„Auf den Krieg war ich vorbereitet“, hat Klemke 1962 in einem Interview erzählt. „Nicht vorbereitet aber war ich, dass ich das entsetzliche Schicksal unschuldiger Menschen mitansehen musste, denen man nichts weiter zur Last legen konnte, als dass sie auf der Welt waren.“ In Amsterdam wurde der Wehrmachtssoldat zufällig Zeuge der „Zentralreinigung des großen Ghettos“. Er sah, wie „bei schönstem Sommerwetter, bei strahlendem Sonntagvormittags-sonnenschein“ Menschen [zur weiteren Information http://www.tenhumbergreinhard.de/taeter-und-mitlaeufer/staedte-1933-1945/amsterdam.html a.d.V.] zusammengetrieben wurden für die Transporte in die Vernichtungslager, die am Bahnhof Muiderpoort starteten.“3 Durch Zufall lernt Klemke in Amsterdam Jüdinnen und Juden kennen. Er ist ein leidenschaftlicher Buchliebhaber und besucht so oft wie möglich das Antiquariat „Erasmus“, in welchem er auch die verbotene Literatur von Brecht und Tucholsky auftreiben kann. Es kommt zu einer zufälligen Begegnung mit Mels de Jong mit dem er sich anfreundet. Mels de Jong leitet das literarische Programm des Antiquariats, ist ungefähr mit ihm gleichaltrig und verheiratet mit der Tochter des jüdischen Besitzers des Export- und Importhandels „Van Perlstein & Roeper Bosch“ 4. Die jüdische Familie Perlstein versucht verzweifelt den Deportationen zu entgehen. Klemke fälscht gemeinsam seinem Freund, dem Fotografen und Lyriker Johannes Gerhard, der ebenfalls als Soldat der Luftwaffe stationiert und im Widerstand tätig war, für Sam van Perlstein die Abstammungsurkunde. Sie können ihn damit die Identität eines damals sogenannten Ariers geben und sichern das Leben der Familie. Klemke taucht ein in eine kleine holländisch-deutsche Widerstandsgruppe um das Antiquariat „Erasmus“. Sie verstecken Menschen, die untergetaucht waren. Sie fälschen mit ihren grafischen Fähigkeiten Papiere: Lebensmittelkarten, Abstammungsunterlagen, Pässe. Um die 300 Menschen können durch die Taten der Widerstandsgruppe vor der Deportation bewahrt und ihre Leben gerettet werden. Jüdische Menschen, Deserteure und politische Flüchtlinge.

Berlin-Weißensee-Spaziergang-Werner Klemke-Arbeitszimmer-Quelle Weißenseer Heimatfreunde e.V.

Werner Klemke-Arbeitszimmer
Quelle: Weißenseer Heimatfreunde e.V.

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v.l.n.r. Werner Klemke, Evie van Perlstein, Mel de Jong
Quelle: Weißenseer Heimatfreunde e.V.

Berlin-Weißensee-Spaziergang-Werner Klemke-Der Kater-Quelle Weißenseer Heimatfreunde e.V.

Der Kater von Werner Klemke
Quelle: Weißenseer Heimatfreunde e.V.

„Aber Klemke, das wird im Film nicht verschwiegen, war auch ein Opportunist. Er arbeitete für Soldatenzeitungen, beteiligte sich an der Propagandaausstellung „Kunst der Front“ im Rijksmuseum, dessen „Bilder Zeugen unseres gerechten Kampfes sein sollten“, und zeichnete eine Karikatur, die den Text von „Lilli Marleen“ antisemitisch persiflierte.“ 5

Es ist eine besondere Geschichte des Werner Klemke und gibt uns sehr viel Achtung für einen damals jungen Mann, der mit Mut und seinen Fähigkeiten unter schwierigsten lebensverachtenden -und vernichtenden Bedingungen des Nationalsozialismus zum Lebensretter für viele wurde.

1 Stadtgeschichtliches Museum Weißensee (Hrsg.) (1994): Werner Klemke. Mit einem Beitrag des Künstlers und einer Einleitung von Bernhard Nowak. Sammelblatt 7. Dresden.
2 Stadtgeschichtliches Museum Weißensee (Hrsg.): Sammelblatt 7. 1994
3 Schröder, Christian (2015): Dokumentarfilm „Treffpunkt Erasmus“ über Werner Klemke. Fälschungen fürs Leben., in https://www.tagesspiegel.de/kultur/falschungen-furs-leben-3654520.html , gezogen am 21.04.2023
4 Diese Firma handelt mit traditionellen Puppen, Geschirr, Spielzeug aus Japan und China.
5 Schröder, Christian (2015): Dokumentarfilm „Treffpunkt Erasmus“ über Werner Klemke. Fälschungen fürs Leben., in https://www.tagesspiegel.de/kultur/falschungen-furs-leben-3654520.html , gezogen am 21.04.2023

Weiterführende Empfehlung

Der Trailer zum Film „Treffpunkt Erasmus“ von Annet Betsalel.

https://www.youtube.com/watch?v=zCRII-stBDc