In der Weißenseer Parkstraße 22 steht es noch heute: Das Gebäude der jüdischen Internatsschule, in der einst Taube Kinder und Jugendliche aus ganz Deutschland lernten. Vor 150 Jahren, im Juli 1873, gründete der jüdische Pädagoge Markus Reich diese zu ihrer Zeit vorbildliche Bildungsstätte.

Nachdem die Bildungseinrichtung ihren Anfang in Fürstenwalde an der Spree genommen hatte, zogen Markus Reich, seine Familie, seine Schwester und zehn Schüler:innen am 17. August 1890 nach Weißensee. 1891 konnte das neu errichtete Gebäude in der Parkstraße 22, das die Aufnahme von 62 Schüler:innen vorsah, bezogen werden.

Peter Glaß verweist in dem Buch „Juden in Weißensee“ auf das „Israelitische Familienblatt“, worin 1903 beschrieben wurde, dass der gesamte Unterrichtskursus mindestens acht Jahre erforderte. Die Schüler:innen wurden in 32 Lehrstunden wöchentlich „in den selben Gegenständen unterrichtet, wie hörende Kindern in den besseren Volksschulen“. Lobend angemerkt waren die Versorgung und das Umfeld: „Die streng rituell hergestellten Speisen sind reichlich und kräftig, alle Räume lustig und peinlich sauber. Der zur Anstalt gehörige Park bietet den Kindern einen gesunden Aufenthalt in freier und frischer Luft.“

Berlin-Weißensee-Spaziergänge-Ehemalige Israelitische Taubstummenanstalt-Direktor Dr. Felix Reich-Aufnahmezeitraum1933-1935-Copyright Museum Pankow

Direktor Dr. Felix Reich
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Berlin-Weißensee-Spaziergang-Ehemalige Israelitische Taubstummenanstalt-Aufführung Purimfest-Grobzeitraum 1928-Copyright Museum Pankow

Aufführung Purimfest um 1928
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Die Anzahl der Schüler:innen, die zwischen dem sechsten und zehnten Lebensjahr aufgenommen wurden, wuchs ständig. Bereits 1909 konnten 47 Taube Kinder in acht aufsteigenden Klassen unterrichtet werden. Die jüdische Gemeinde in ganz Deutschland verfolgte die pädagogische Arbeit mit Interesse, was die Zusammensetzung der Kinder belegt. Der Einzugskreis der Internatsschule umfasste beispielsweise 1906 Kinder aus Berlin und seinen Vororten, Kinder aus der damaligen Provinz Posen, Kinder aus Hessen, Bayern, Westfalen, dem damaligen West- und Ostpreußen, Schlesien und Pommern.

Um 1903 konnte der Förderverein der Internatsschule 3137 Mitglieder auf sich vereinen. 1909 waren es bereits 6000 Mitglieder, die sich aus allen Schichten der Gesellschaft zusammensetzten.

Mit der Zeit des Nationalsozialismus wurde die für damalige Zeit fortschrittliche jüdische Bildungseinrichtung systematisch zerstört und Erwachsene wie Kinder Opfer der Shoa.

Literaturverweis:
Bezirksamt Weißensee von Berlin. Kulturamt Weißensee und Stadtgeschichtliches Museum (Hrsg.) (1994): Juden in Weißensee. Hentrich Edition. Berlin

Berlin-Weißensee-Spaziergang-Die Geschwister Reich in England-um 1953-Dr. Felix Reich-Hedwig Höxter-Elisabeth Reich-copyrhight Museum Pankow

Die Geschwister Reich in England um 1953
v.l.n.r. Dr. Felix Reich, Hedwig Höxter, Elisabeth Reich
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Berlin-Weißensee-Spaziergang-Ehemalige Israelitische Taubstummenanstalt-Oktober 1932-Copyright Museum Pankow

Die Lehreinrichtung im Oktober 1932
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Berlin-Weißensee-Spaziergang-Ehemalige Israelitische Taubstummenanstalt-Kollegium der Lehrer und Lehrerinnen-um 1932-Copyright Museum Pankow

Kollegium der Lehrer und Lehrerinnen um 1932
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150. Gründungsjahres der Ehemaligen Israelitischen Taubstummenanstalt

https://www.stephanus-grundschule-berlin.de/2023/06/24/stephanus-grundschule-erinnert-an-isrealitische-taubstummen-anstalt/

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